Die Nebenfrau des Vaters schwängern, vom Hof verbannt werden, jede Menge schöne Frauen und gespickt mit Poesie. Das klang schon vor tausend Jahren als ausgezeichnete Zutat für einen fesselnden Stoff und soll es tausend Jahre später immer noch sein.
Die Rede ist von Die Geschichte vom Prinzen Genji, dem ersten Roman überhaupt, die von einem fiktiven Prinzen handelt, und am japanischen Kaiserhof um das Jahr 1000 von der Hofdame Murasaki Shikibu (ca. 978–1014) erfunden worden war.

Die Handlung begleitet das Leben des außergewöhnlich schönen Prinzen Genji, der durch seine Liebesabenteuer glänzt. Wer nun saftige erotische Details erwartet, der muss auf Adaptionen aus dem 20. Jahrhundert vertröstet werden, denn 900 Jahre lang war besonders bei Hofdamen beliebte 54-bändige Roman vor allem durch Poesie, Anstandsregeln und den Blick in die höchsten Hofkreise und Umgangsformen geprägt.
Schon sehr bald sollte das Werk eine fast quasi-religiöse Bedeutung erhalten. Über Jahrhunderte versuchten Gelehrte und Experten tieferen Sinn aus den Gedichten und der immer wieder von der Autorin eingebrachten moralischen Ideale herauszulesen. Doch nicht nur in der Interpretation des Textes, auch in der Gestaltung der Schrift und der Illustrationen entfaltete sich die ganze japanische Kunst.

Kalligraphie galt und gilt in Japan immer noch nicht nur als hohe Kunstform, sie soll auch ein Zeichen des Charakters des Kalligraphen sein. Die Schriftform zu kritisieren bedeutet in Japan nichts anderes als zugleich den Charakter des Schreibers anzuprangern. Frauen waren die höchsten Weihen der Kalligraphie offiziell verboten, das hinderte sie aber nicht, sie trotzdem zu erlernen. Auch ein Fließtext der japanischen Schriftzeichen – wie der oben abgebildete – fügte seine eigene Bedeutung zum Text und den Illustrationen hinzu.
Über die Jahrhunderte war der Text nur einem kleinen Kreis wirklich zugänglich gewesen, da vor dem Buchdruck die Erstellung einer Kopie, die mitsamt den oft aufwendigen Illustrationen mehr als tausend Seiten umfassen konnte, ausgesprochen aufwendig war und Jahre dauerte. Selbst Einzelblätter des Romans wurden wie ein Schatz behandelt, und von den Besitzern entsprechend restriktiv verwaltet.
Die unten abgebildete Schlacht der Karossen zeigt solch ein Beispiel, wo aufwendig mit Blattgold eine Schlüsselszene aus dem Roman abgebildet wird. Genjis ehemalige Geliebte und Hofdame Rokujô wartet bei einem Festival in ihrer verdeckten Kutsche inkognito auf den Einzug von Genji. Gleichzeitig kommt aber Genjis Frau Aoi an, deren Entourage einen besseren Platz für sie freimachen und dabei Rokujôs Kutsche in einem Handgemenge verschieben und sie bloßstellen. Als dann noch Genji vor Aois Kutsche halt macht, um sie zu begrüßen, ist die öffentliche Blamage für Rokujô absolut.

Viele dieser Illustrationen wurden auch auf Paravents, Fächer, Innenraumdekorationen und Gegenstände angebracht. Bei Hochzeiten zwischen den höchsten Familien im Shogunat hatten viele Genji-Motive in den Hochzeitsgeschenken. Auch auf Kleidungsstücken und Muscheln, die zum Memoryspielen verwendet wurden, waren Genji-Motive äußerst beliebt.
Die erste gedruckte Version erschien erst im 17. Jahrhundert, wo der Text dann einer größeren Leserschaft bekannt wurde. Der Originaltext musste bereits im 12. Jahrhundert mit Kommentaren ergänzt werden, da die zeitgenössische Leserschaft mit vielen der Referenzen nicht mehr vertraut war. Und 1911 erschien dann die erste moderne Übersetzung des Romans in ein zeitgenössisches Japanisch, die ohne Annotationen auskam.
Mit der Zeit wurden auch die Illustrationen dem jeweiligen Stil der Epoche angepasst, bis sie 1980 selbst in einer künstlerisch einzigartigen Manga-Version erschienen war. Auch Parodien des Romans mit teilweise sehr anzüglichen Illustrationen sind über die Jahrhunderte erschienen, die anfänglich nur im Geheimen zirkulierten.
Einen ausgiebig illustrierten und erläuterten Bildband zu The Tale of Genji gibt es vom Verlag des The Metropolitan Museum of Art, in dem 2019 eine Retrospektive stattfand, für über €60.

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