Geburtstagskuchen mit Spucke essen

Erinnern wir uns noch daran, dass wir noch vor wenigen Wochen einfach so, ohne mit der Wimper zu zucken, ein Stück vom Geburtstagskuchen essen, über den vorher das Geburtstagskind die Kerzen ausgeblasen hat? Und jetzt rinnt uns dabei die Gänsehaut runter, wenn wir uns das nur vorstellen müssen.

Knapp zwei Monate haben die Kalibrierung, wovor wir Sorgen haben müssten, einfach auf den Kopf gestellt. Als Kind in den 1970er Jahren fand ich es völlig normal, in unserem Auto – ein VW Kombi – hinten drin auf der Ladefläche nur auf einer Luftmatratze sitzend mitzufahren und bei jeder Bremsung und bei jedem Anfahren damit hin und her zu rutschen. Sicherheitsgurte oder Nackenstützen im Auto waren abwesend, genau wie Sicherheitssitze für Kinder.

Noch vor wenigen Jahren schien uns nichts dabei, dass wir Zigarettenraucher neben uns im Restaurant oder Kaffeehaus sitzen hatten. Wir verschwendeten keinen Gedanken daran. Und wer griff nicht einfach so nach einer zum Gruß ausgestreckten Hand?

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Eine Pandemie wie diese zwingt uns, Annahmen und Selbstverständlichkeiten zu überdenken. Was bei Sicherheitsgurten und Rauchen im Lokal uns nun sofort auffällt – bei ersterem die Abwesenheit, bei zweiterem die Anwesenheit – brauchte Jahre, bis uns das neue Verhalten selbstverständlich geworden war. Die Gefahr schien uns nicht unmittelbar.

Die Gefahren einer Pandemie sind aber sofort zu sehen. Im ersten Moment schien uns noch das Anlegen einer Schutzmaske als etwas übertrieben und peinlich, doch jetzt, nach zwei Monaten, scheinen uns Menschen im Supermarkt und selbst in der Öffentlichkeit als sträflich nachlässig, wenn wir sie ohne Maske sehen. Unser Bogen um sie herum wird noch weiter als normal.

Fahrerlose Autos rufen heute noch Sorgen hervor

Wir werden solche Verhaltensänderungen noch bei anderen Dingen erleben. Fahrerlose Autos sind heute eine Ausnahmeerscheinung und rufen bei uns Erstaunen und Sorgen hervor. Da sitzt ja niemand hinter dem Lenkrad! Sind sie denn auch sicher? In zehn Jahren werden wir in Sorgen geraten, wenn wir einen Menschen hinter einem Lenkrad sitzen sehen, der solch ein Fahrzeug steuert.

Und dass es eine Zeit gab, wo wir jeden Tag mit Millionen anderen berufstätigen im Stau standen oder in den öffentlichen Verkehrsmitteln dicht gedrängt an unsere Arbeitsplätze fahren mussten, werden wir mit Schmunzeln betrachten. Nachdem aktuell viele gezwungen sind von zuhause zu arbeiten, und es doch unerwartet gut funktioniert und stressfreier scheint (wenn es keine Kinder daheim gäbe), werden wir auch bald nicht mehr im Büro zum Arbeiten sein müssen.

Und damit vermeiden, dass wir einen Geburtstagskuchen eine Kollegin oder eines Kollegen essen müssen, über den sie/er gerade die Kerzen ausgeblasen hat.

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