Der Mann, der Comics liebt

Wie ein durchgeknallter Comic, unsere Französischlehrerin und ein Zufallsfund meine Comicsammelleidenschaft neu erweckten.

Im Wiener Bezirk Floridsdorf, auf der östlichen Seite der Donau, befand sich in der Nähe unserer damaligen Wohnung ein sogenannter Gemeindebau, eine von der Stadt Wien in den 1920er Jahren errichtete und betriebene Wohnausanlage, die über Geschäfte, Kindergärten, Arztpraxen und einen Bauernmarkt verfügte. Solche Gemeindebauten wie der Schlingerhof waren kleine Dörfer in der Stadt und als Kind waren das unsere Orte, wo wir Erfahrungen sammelten und unsere ganze Welt lag.

In den Arkaden dieses Gemeindebaus befanden sich Geschäftslokale, unter anderen ein Romantauschgeschäft. Dieses existiert schon lange nicht mehr, aber hier ist ein Foto von Google Maps, wie es dort aktuell aussieht.

Der Schlingerhof im 21. Bezirk in Wien, mit Geschäftslokalen in den Arkaden, in denen sich Ende der 1970er Jahre ein Romantauschgeschäft befand, das ich einmal wöchentlich aufsuchen durfte.

In einer der Arkaden befand sich ein Romantauschgeschäft, und in dem konnte ich, damals noch Volksschüler, 10 alte gebrauchte Comicheftchen gegen 10 neue gebrauchte Comicheftchen umtauschen. Für 10 Schilling, das damals etwa 1,5 D-Mark waren, und nach dem Umrechnungskurs 71 Cent entsprechen, was inflationsbereinigt heute ca. €1,90 wären.

Zumeist waren diese Stapel an Comicheften ziemlich zerfleddert, und hatten viele Auszüge aus größeren Comicalben. So erschienen darin beispielsweise jeweils vier bis sechs Seiten von einem Lucky Luke, Schlümpfe oder Benny Bärenstark-Album, immer so mittendrin. Und natürlich ganze Geschichten von Donald Duck, Micky Maus, Caspar und vielen anderen. Als Kind fiel es mir nicht so auf, dass ich immer nur Teile der Geschichten aus den Alben las, Hauptsache es waren Comics. Und die Alben selber mit den ganzen Geschichten zu kaufen, war zu teuer. So wurde ich jedenfalls in die Welt viele verschiedener Comics eingeführt.

Als wir dann in einen anderen Stadtteil gezogen waren und ich der Romantauschverkäuferin versprochen hatte, nur zu ihr zu kommen, hörte ich auf, Comichefte zu tauschen oder Comics zu kaufen. Bis ich 1984 dann am Bahnhof eines österreichischen Urlaubsort ein U-Comix-Heft erstand. Dieses Comic-Heft war definitiv nicht für Kindern gedacht, wie man schon am Titelblatt erkennen kann, aber genau deshalb war es so faszinierend.

U-Comix Cover vom Oktober 1984

Im Heft befanden sich, wie ich dann viele Jahre später herausfinden sollte, Comics von eine Reihe von Zeichnern und Szenaristen, die aus Frankreich stammten, und dort sowohl Kindercomics wie auch Erwachsenencomics schufen. Der mir am schrägsten erscheinende Comic stammte von einem Zeichner, der unter dem Künstlernamen Édika wirkte.

Seine Geschichten waren so wirr, mit sexuellen Anzüglichkeiten gespickt, hochdynamisch und die männlichen Charaktere, immer großen Nasen versehen, waren absolut triebgetrieben, während die Frauen mit zumeist überdimensionalen sexuellen Attributen ausgestattet die Ruhe in sich selbst darstellten. Immer wieder durchbricht Édika die vierte Wand, indem die Comiccharaktere plötzlich bei ihm im Zeichenstudio auftauchen und die Geschichte eine ganz andere Wendung nimmt, die zumeist damit zu tun hat, dass er, Édika, die Zeichnung nicht rechtzeitig zum Redaktionsschluss fertigbringt. Oft enden seine Comics auch ohne Pointe, was an dieser Stelle aber nicht mehr stört, weil schon so viel Durchgeknalltes und Lustiges zwischendurch passiert ist, dass es nur passend scheint.

Erst mit dem Französischunterricht, den wir dann in der Oberstufe im Gymnasium erhielten, kamen die Comics wieder zurück auf meine Leseliste. Unsere Lehrerin heiterte den Unterricht immer wieder mit Auszügen von Comics auf, die es uns erleichtern und uns motivieren sollten, Französisch zu lernen.

Viele Jahre später, im August und September 1996, war ich zum ersten Mal in Frankreich auf Urlaub, und bei der Tour, die mich entlang der Loire führen sollte, passierte ich auch Orléans. Dort stolperte ich in ein Comicgeschäft, das wie ich überrascht feststellen musste, nicht von Kindern, sondern von Erwachsenen besucht wurde. Beim Stöbern zog ich diesen Band Les Dingodossiers von René Goscinny und Marcel Gotlieb hervor. Asterix-Fans werden sofort den Namen Goscinny erkennen. Gemeinsam mit Albert Uderzo hatte er nämlich diesen gallischen Helden erschaffen.

Und als ich dieses Album aufschlug, fiel mein Blick auf eine Doppelseite mit dem Titel La Rentrée des Profs (Die Rückkehr der Professoren), die davon handelt, wie die Lehrer aus den Sommerferien zurückkehrend gewisse Schwierigkeiten haben, wieder in den Lehreralltag zurückzufinden. Für Schüler ist das eine erfrischend andere Perspektive, denn bis dahin denkt man immer nur daran, wie Schüler sich vor dem Schulbeginn zieren, aber dass die Lehrer auch ein Leben außerhalb der Schule haben und somit Menschen mit ihren eigenen Wünschen und Problemen, kam einem nicht unbedingt in den Sinn.

Und genau diese Doppelseite hatte unsere Französischlehrerin damals im Gymnasium zum Studium vorgelegt. Natürlich kaufte ich sofort das Album und auch die weiteren in der Serie, und das war der Beginn meiner Sammelleidenschaft von frankobelgischen Comics.

Zuerst kamen die üblichen Verdächtigen dran. Tintin, Gaston, Lucky Luke, die Schlümpfe. Aber sehr bald erweiterte ich meine Sammlung auf ausgefallenere, bei uns weniger bekannte Alben und auf Neuerscheinungen. Jedes Jahr werden in Frankreich und Belgien mehrere tausend Comicalben publiziert, die von Fantasy, Science Fiction, Geschichte, Vampire, Krimis, Micky Maus, Erotik, Literaturverarbeitung bis hin zu Alltagsgeschichten alle Themenbereiche umfassen.

Ein Ausschnitt aus meiner Comicbibliothek

Die Zeichenstile sind weit gefasst. Sie reichen von den uns von Asterix und Tintin bekannten Zeichenstilen, hin zu hyperrealistischen Zeichnungen und Fotoromanen. Techniken wie Aquarelle, Buntstiftzeichnungen oder der Computer mit Vektorgrafiken sind alle vertreten. Und es befinden sich wahre Kunstwerke darunter, die der im deutschsprachigen Raum nach wie vor vorherrschenden Meinung über Comics als Kinderkrams und Müll widersprechen.

Aktuell umfasst meine Bibliothek so um die 700 bis 800 Comicalben, sowie eine Reihe von Sammelbänden und Magazinen, die sich Comics, Cartoons und Satire widmen. Seit dem Anfang bin ich auch Abonnent des französischen Comicfachmagazins Casemate, das Besprechungen zu Comicneuerscheinungen bringt, und die Zeichner, Szenaristen und Koloristen interviewt. Dieses monatlich erscheinende Magazin studiere ich, um dann die nächsten Alben auf meine Einkaufsliste zu setzen.

Mittlerweile sammle ich auch gezielt Serien, und teilweise jage ich sogar Alben nach, die es gar nicht mehr als Neuerscheinungen gibt, die ich aber aus meiner Kindheit kenne, wie beispielsweise Schwarzbart der Pirat, dessen alte Alben man heute auf ebay besorgen muss und die dreimal soviel wie ein brandneuer Comic kosten.

Schwarzbart der Pirat, französische Ausgabe

Sammelbände erweisen sich seit einigen Jahren für die Verlage und Sammler als eine wahre Goldgrube. So ist es kein Wunder, dass viele alte Comics in solchen Sammelbänden wieder aufgelegt werden, die es einem Sammler erlauben, seine Kollektion zu vervollständigen.

Und das bringt uns zurück zu Édika und dem U-Comix. Denn die Anthologie Édika, die in mehreren Sammelbänden chronologisch seine Arbeiten vereint, erlaubt mir nun besser, sein Werk zu verstehen, das ich aus dem U-Comix von 1984 und anderen Jahren, sowie aus dem durchgeknallten französischen Magazin Fluide Glacial, das ich seit Jahren abonniert habe, kenne.

Anthologie Édika

Und im ersten Band, der alle Zeichnungen von Édika zwischen 1979 und 1984 enthält, findet sich nun die französische Ausgabe dieses eingangs zitierten Comics Ferienende.

Aufmerksame Leser:Innen werden schon erkannt haben, dass ich immer wieder Comicalben bespreche, die ich als besonders erwähnenswert empfand. Viele sind auch auf Deutsch erschienen und können und sollten auch von nicht dem Französischen Mächtigen entdeckt werden.

Für meinen Nachschub ist gesorgt: ich bestelle regelmäßig aus Frankreich Alben und tauche in die Welt der Comickunst ein.

Aktueller Stapel an ungelesenen Comicalben

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